EuGH zum Missbrauch einer marktbeherrschenden Stellung durch Erhebung einer Patentverletzungsklage
Kann die Erhebung einer Patentverletzungsklage durch den Inhaber eines standardessentiellen Patents (SEP) den Missbrauch einer marktbeherrschenden Stellung bedeuten? Mit dieser Frage hatte sich der EuGH im Rahmen eines Verfahrens des chinesischen Mobilfunkherstellers Huawei gegen die ebenfalls chinesische ZTE-Gruppe zu beschäftigen. Mit Urteil vom 16.Juli 2015 (Az. C-170/13) präzisierte die 5. Kammer des Gerichtshofs nun die Bedingungen, unter denen vom Missbrauch einer marktbeherrschenden Stellung ausgegangen werden könne.
Das Telekommunikationsunternehmen Huawei hatte gegen den Telekommunikationsausrüster ZTE vor dem Landgericht Düsseldorf eine Patentverletzungsklage gerichtet auf Unterlassung, Rechnungslegung, Rückruf sowie Schadensersatz erhoben. Hierbei ging es um ein Patent, dessen Halter Huawei ist (Schutzrecht EP 2090050) und das für den „Long Term Evolution“ (LTE)-Standard, über den heute für die meisten Mobiltelefone kommunizieren, essentiell ist, weil es bei Nutzung dieses Standards zwangsläufig berührt wird. Um das Patent als standardessentielles Patent (SEP) einstufen lassen zu können, musste Huawei sich verpflichten, die betreffende Technologie allen Marktteilnehmern zu fairen, zumutbaren und diskriminierungsfreien Bedingungen (sog. FRAND-Bedingungen) anzubieten. Die ZTE-Gruppe vertreibt unter anderem Basisstationen, die mit der LTE-Software arbeiten, sodass sie zwangsweise mit dem SEP von Huawei in Berührung kommt. Verhandlungen hinsichtlich eines Lizenzvertrags zu FRAND-Bedingungen zwischen den beiden Unternehmen waren jedoch fehlgeschlagen, weshalb Huawei in der Verwendung des Patents durch ZTE eine Patentverletzung sah.
In den Augen der Beklagten handelte es sich bei diesem Verhalten des Unternehmens Huawei um einen Missbrauch seiner marktbeherrschenden Stellung. Sie selbst sei bereit gewesen, einen Lizenzvertrag mit der Klägerin abzuschließen.
Das LG Düsseldorf legte die Frage, unter welchen Bedingungen von einem solchen Missbrauch einer marktbeherrschenden Stellung durch Erhebung einer Patentverletzungsklage auszugehen sei, im Jahre 2013 zunächst dem EuGH zur Vorabentscheidung vor. Die Luxemburger Richter haben in diesem Rahmen nun bestimmte Verhaltensregeln aufgestellt, wie betroffene Unternehmen in einem solchen Fall vorzugehen haben. Demnach sei eine Klage auf Unterlassung oder Rückruf erst dann zulässig, wenn sich der Patentinhaber zuvor bereit erklärt hat, Lizenzen zu FRAND-Bedingungen zu vergeben. Zudem müsse er den vermeintlichen Patentverletzer vor Klageerhebung auf die angebliche Verletzung hinweisen. Hierbei müsse der Patentinhaber die Verletzung konkret benennen sowie ein Lizenzangebot unterbreiten. Bei Ausbleiben eines Vertragsabschlusses sei sodann von dem anderen Unternehmen zu fordern, innerhalb einer kurzen Frist ein Gegenangebot zu unterbreiten. Auch dieses müsse den FRAND-Grundsätzen entsprechen. Erst nach Erfolglosigkeit dieser Vorgehensweise sei es dem Patentinhaber gestattet, eine Patentverletzungsklage gerichtet auf ein Verkaufsverbot zu erheben.
Die Richter präzisierten die Bedingungen weiter dahingehend, dass diese Vorgehensweise nicht erforderlich sei, sofern die Klage sich auf Rechnungslegung und Schadensersatz richte. Denn diese Klagebegehren wirkten sich nicht darauf aus, ob dem Standard entsprechende Produkte von Wettbewerbsteilnehmern auf den Markt gelangen bzw. dort bleiben.
Der EuGH hat damit den Ausgleich zwischen der Ausübung ausschließlicher Rechte aus dem geistigen Eigentum und dem freien Wettbewerb noch weitergehender als in seiner früheren Rechtsprechung konkretisiert.