Corona-Impfstoff im Patentrecht

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Spätestens mit der Bekanntgabe seitens BioNTech, dass ein etwaiger Corona-Impfstoff in absehbarer Zeit verfügbar sein werde, entstand eine Debatte um dessen Umverteilung und den Patentschutz. Zwar scheint es auf den ersten Blick so, als hätte die Krise zumindest in der Stärkung der allgemeinen Solidarität ihren Dienst getan. Jedoch reicht bereits ein zweiter Blick aus, um erahnen zu können, dass das Kräftemessen zugunsten nationaler Interessen bereits begonnen hat. Doch wie konkurrieren diese Interessen mit den Schutzinteressen der (zukünftigen) (Patent-)Rechtinhaber? Ist eine Durchbrechung des Patentschutzes überhaupt möglich?

Im Grundsatz besteht eine Pflicht zum Patentschutz

Gemäß Art. 27.1 TRIPS haben WTO-Mitglieder die Pflicht, Patente für Erfindungen auf allen Gebieten der Technik zu ermöglichen. Das gilt immer dann, wenn die Erfindung neu ist, auf einer erfinderischen Tätigkeit beruht und gewerblich anwendbar ist. Darunter ist auch eine Patentierbarkeit zum einen für das Produkt und zum anderen für das Verfahren an sich zu verstehen. Demnach ist eine Nachentwicklung eines Medikaments oder Impfstoffs gleichermaßen einem Patent zugänglich. Gleiches gilt somit auch für einen Corona-Impfstoff.

Soweit ein Patent erfolgreich eingetragen wurde, hat der Patentinhaber für eine Dauer von mindestens 20 Jahren (vgl. Art. 33 TRIPS) das ausschließliche Verwertungsrecht inne (Art. 28 TRIPS). Einem Patentinhaber ist es gestattet, den Gebrauch oder das Anbieten zum Verkauf sowohl des Erzeugnisses als auch das aus einem bestimmten Verfahren erworbene Erzeugnis zu verbieten oder auch zu erlauben. Für den Corona-Impfstoff bedeutet dies folglich, dass sowohl der Vertrieb als auch das Verfahren zu dessen Herstellung patentrechtlich geschützt werden kann.

Patenrechtliche Ausnahmen

Den WTO-Mitgliedern obliegt dennoch die Möglichkeit, begrenzte Ausnahmen von den ausschließlichen Rechten aus einem Patent für einen Impfstoff zu bestimmen. Das gilt zumindest für den Fall, dass diese Ausnahmen nicht unangemessen im Widerspruch zur normalen Verwertung des Patents stehen und die berechtigten Interessen des Inhabers des Patents nicht unangemessen beeinträchtigen (so Art. 30 TRIPS). Ebenfalls müssen die berechtigten Interessen Dritter berücksichtigt werden. Diesbezüglich sei insbesondere auf die in § 11 Nr. 2b PatG vorgesehene „Roche-Bolar-Regel“ hingewiesen, die es Unternehmen erlaubt, bereits vor Ablauf des Patentschutzes in die Forschung einzusteigen, um unmittelbar nach dem Ablauf des Patenschutzes eine arzneimittelrechtliche Zulassung zu erhalten. Indes verkürzt diese Regelung nicht die Dauer des eigentlichen Patentschutzes für die betreffende Erfindung.

Benutzung des Corona-Impfstoffs ohne die Zustimmung des Patentinhabers

Auch über eine Zwangslizenz oder eine Benutzungsanordnung kann die Nutzung des Impfstoffs ermöglicht werden (Art. 31 TRIPS). Anstelle einer eigentlich notwendigen Zustimmung des Rechteinhabers tritt in diesem Fall eine staatliche Anordnung. Von dieser Möglichkeit haben die Länder Chile, Ecuador und Israel Gebrauch gemacht. Doch auch im deutschen Patentrecht sind die Instrumente der Benutzungsanordnung (§ 13 PatG iVm. § 5 II IfSG) sowie der Zwangslizenz (§ 24 PatG) geregelt.

Benutzungsanordnung in Deutschland

Im Zuge des Eintritts der ersten „Corona-Welle“ wurde in § 5 II Nr. 5 IfSG die Möglichkeit geschaffen, iSd. § 13 I PatG anzuordnen, dass eine Erfindung in Bezug auf eines der in Nr. 4 vor der Aufzählung genannten Produkte im Interesse der öffentlichen Wohlfahrt oder im Interesse der Sicherheit des Bundes benutzt werden soll. Darunter fallen ausdrücklich auch Impfstoffe. Als Rechtsfolge griffe die Wirkung des Patents mithin nicht ein. Im Hinblick auf die dadurch leidenden Interessen des Patentinhabers ist ein Anspruch auf angemessene Vergütung in § 13 III PatG gesetzlich geregelt.

Im Lichte des Art. 14 GG, der auch auf Immaterialgüterrechte anwendbar ist, wird allerdings eine Abwägung mit den gerechten Interessen der Allgemeinheit stattzufinden haben. Auf der Ebene des Unionsrechts ist zudem an die Voraussetzungen für Eigentumsbeschränkungen zu denken, die Art. 17 I GRCh formuliert. Insoweit müssen ein öffentliches Interesse, eine gesetzliche Grundlage und eine Entschädigungsregelung vorliegen. Diese Voraussetzungen gelten auch für Beschränkungen des geistigen Eigentums, da aus der ausdrücklichen Erwähnung des geistigen Eigentums in Art. 17 II GRCh kein erhöhtes Schutzniveau folgt.

Zwangslizenz

Die Zwangslizenz ist in § 24 PatG geregelt. Eine solche kann allerdings nicht durch eine Behörde erteilt werden, sondern muss von einem Lizenzsucher vor einem Patentgericht erstritten werden. Die diesbezügliche Voraussetzung des öffentlichen Interesses dürfte angesichts der Tatsache, dass bereits der engere Tatbestand der öffentlichen Wohlfahrt erfüllt ist, vorliegen.

 

Im Ergebnis zeigt sich, dass Deutschland in rechtlicher Hinsicht grundsätzlich bereit ist, den Corona-Impfstoff in den Markt einzuführen. Ob dies über eine Benutzungsanordnung mit Entschädigungszahlungen oder eine entsprechende Absprache mit dem Patentinhaber gelingt, ist aus gesundheitspolitischen Erwägungen wohl zweitrangig zu beurteilen. Allen (rechtlichen) Möglichkeiten zum Trotz darf der solidarische Gedanke jedoch nicht auf der Strecke bleiben. Denn die Corona-Krise bleibt, was sie auch vor dem Impfstoff war: Keine Epidemie, sondern eine Pandemie!