Die neue Kronzeugenregelung im Anti- Doping Gesetz- sinnvoll oder doch nur guter Wille?
Die Kronzeugenregelung des § 4a AntiDopG ist seit dem 01.10.2021 in Kraft. Der Grund für die Einführung des § 4a AntiDopG ist, dass Ermittlungsbehörden selten Informationen vorliegen, die einen Anfangsverdacht für eine entsprechende Straftat begründen und dass die Ermittlungsbehörden keine nennenswerten Informationen von Sportler/innen über relevante Sachverhalte oder Personen erhalten. Durch die Regelung soll eine sichtbare und eindeutige Möglichkeit für dopende Sportler/innen geschaffen werden, die eigene Strafe zu mildern oder straffrei zu bleiben. Voraussetzung ist, dass freiwillig Wissen offenbart und wesentlich dazu beigetragen wird, dass eine Straftat nach § 4 AntiDopG, die mit der eigenen Tat in Zusammenhang steht, aufgedeckt werden kann oder freiwillig eigenes Wissen so rechtzeitig vor einer Dienststelle offenbart wird, dass eine Straftat des § 4 Abs. 4 AntiDopG noch verhindert wird. Im Spitzensport herrschen regelmäßig geschlossene Strukturen, in denen nur eingeschränkt oder gar aussichtslos ohne Insiderinformationen ermittelt werden kann. Ein Beispiel hierfür ist der Fall „Operation Aderlass“, bei dem es nur aufgrund der Aussage des österreichischen Athleten Johannes Dürr – in einer Fernsehreportage – zu Ermittlungen kam.
Zwar enthält das allgemeine Strafrecht durch § 46b StGB bereits Möglichkeiten, Aufklärungs- und Präventionshilfe von Straftäter/innen zu honorieren. Zu diesen Voraussetzungen zählt jedoch, dass die Straftat im Mindestmaß mit einer erhöhten Freiheitsstrafe bedroht ist. Dies ist bei Verstößen gegen das AntiDopG nur der Fall, wenn Täter/innen gewerbsmäßig oder als Mitglied einer Bande agieren (§ 4 Abs. 4 Nr. 2 b) AntiDopG). Beim Selbstdoping (§ 4 Abs. 1 Nr. 4 und 5, Abs. 2 AntiDopG) und beim Grundtatbestand des unerlaubten Umgangs mit Dopingmitteln und des unerlaubten Anwendens von Dopingmethoden (§ 4 Abs. 1 Nr. 1 bis 3 AntiDopG) liegen diese engen Voraussetzungen nicht vor. Darüber hinaus können grundsätzlich die allgemeinen Regelungen über die Einstellung nach den §§ 153 und 153a StPO wegen geringer Schuld sowie die Strafmilderung des § 46 StGB StGB bei der Strafzumessung angewendet werden. § 46 StGB schreibt dem Gericht vor, dass auch das „Verhalten nach der Tat“ – bei Aufklärungshilfe zugunsten des Kronzeugen zu berücksichtigen ist. Diese allgemeinen Regelungen – nach Ansicht des Gesetzgebers – nicht genügend Anreize, für dopende Leistungssportler/innen, Informationen über dopende Kollegen Preis zu geben. Der Grund hierfür wird vom Gesetzgeber darin gesehen, dass die Regelungen für den Durchschnittssportler nicht ausreichend wahrgenommen, für untauglich eingestuft wurden oder das System für die Betroffenen mit Rechtsunsicherheiten belastet ist.
Ziel des Gesetzgebers ist es, diese Gründe zu nivellieren. Bei der Ausarbeitung des § 4a AntiDopG wurde sich an § 31 BtMG orientiert. § 31 BtMG hat sich als überaus wirkungsvolles Ermittlungsinstrument erwiesen. Zwischen den Anwendungsbereichen des BtMG und des AntiDopG gibt es große Parallelen. In beiden Bereichen gibt es geschlossene Strukturen, in denen sich Ermittlungen deshalb schwierig gestalten. Es gibt aber wesentliche Unterschiede zwischen der Verfolgung von Straftaten nach dem Betäubungsmittelgesetz und dem Antidopinggesetz.
Aus der Stellungnahme des deutschen Anwaltsvereins zu dem Gesetzesentwurf ergibt sich, dass die Wahrscheinlichkeit, dass das mit dem offenbarten Wissen geförderte Ermittlungsverfahren gegen einen Dritten zu einem Ermittlungserfolg bei einem Dopingvergehen führt, relativ gering ist. Dies lässt sich aus Evaluierungen von Verfahren gegen Straftaten aus dem AntiDopG ableiten. Mit gegenwärtig sehr hoher Wahrscheinlichkeit werden die Verfahren nach § 170 Abs. 2 StPO oder §§ 153 ff. StPO eingestellt. Aus der Sicht der Athleten und der Verteidigung ist daher nicht sichergestellt, dass es zu einem erfolgreichen Abschluss des mit einer Aussage ermöglichten Ermittlungsverfahrens kommen wird. Der deutsche Anwaltsverein nimmt an, dass die Einstellungen auf einen Mangel an praktischen Erfahrungen mit dem Umgang des Anti-Doping- Gesetzes der Strafverfolgungsbehörden und Gerichten zurückzuführen sind. Für den Fall der Einstellung werden Athleten trotz der erheblichen Eigengefährdung durch die Aussage um den erhofften Erfolg gebracht. Im Bereich des BtMG sind solche demotivierende strukturelle Verfolgungsdefizite wie im Anti-Doping-Gesetz nicht verbreitet. Deshalb bestehen deutlich weniger Risiken für den Aussagenden. Als Lösung wurde in der Stellungnahme des deutschen Anwaltsvereins vorgeschlagen, dass Voraussetzung der Reduzierung der Strafe nicht der außerhalb des Einflussbereiches des selbst dopenden Athleten liegende Ermittlungserfolg ist. Voraussetzung könnte stattdessen die objektive Eignung des offenbarten Wissens zur Aufdeckung einer Straftat sein, deren Beurteilung vom späteren Schicksal des eingeleiteten Ermittlungsverfahrens gegen den belasteten Dritten unabhängig ist. Dieser Vorschlag wurde aber vom Gesetzgeber nicht eingearbeitet.
Ohne eine Verbesserung der Justiz im Bereich der strafrechtlichen Verfolgung von Dopingverstößen bei Leistungssportler/innen steht zu befürchten, dass die erwarteten Impulse von der Kronzeugenregelung nicht ausgehen. Für die Sportler/innen muss sichtbar sein, dass sie zu einem sauberen Sport beitragen können und die Selbstbelastung honoriert wird. Andersfalls zeigt die Einführung der Kronzeugenregelung im Dopingrecht nur guten Willen des Gesetzgebers, aber keinen Blick für die praktische Realität.
Jessica Konschak / Steffen Lask