Das Gerichtsverfahren um Claudia Pechstein schlägt seit Jahren hohe Wellen in den Medien. Schwerpunktmäßig wird diskutiert, ob Athleten der Rechtsweg zu den ordentlichen Gerichten offen steht. Insoweit ist fraglich, ob die Athletenvereinbarung, die zumeist vorformulierte Schiedsklauseln enthält, angesichts des Kontrahierungsdrucks für die einzelnen Sportler wirksam ist. Weniger Beachtung findet hingegen der Gesichtspunkt des Prozesses, der Pechstein schlussendlich am Wichtigsten sein dürfte; nämlich, ob der mehrfachen Weltmeisterin – im Falle der Zuständigkeit der ordentlichen Gerichtsbarkeit – überhaupt ein Schadensersatzanspruch zusteht. Dazu haben sich die Gerichte – weder das LG noch das OLG München – bislang nicht geäußert. Dennoch schlägt in der öffentlichen Meinung ein Empfinden durch, Pechstein sei auf dem Wege des Triumphes. Dies kann jedoch nur der Fall sein, soweit der Sportlerin tatsächlich ein Anspruch auf Schadensersatzzahlungen gegen die ISU zusteht.
Prozessmittel des sog. indirekten Beweises
Ein solcher kann sich im Prinzip nur ergeben, wenn die Dopingsperre der ISU im Jahr 2009 rechtswidrig gewesen ist. Die Dopingsperre basierte auf einem sog. indirekten Beweis, der im Fall von Claudia Pechstein zum ersten Mal überhaupt zum Tragen kam. Der WADA-Code nennt den indirekten Beweis nicht ausdrücklich. Lediglich mittelbar konnte – seit Januar 2010 ist der indirekte Beweis in seinem Anwendungsbereich durch die Biological Passport Guidelines der WADA stark eingeschränkt – man diesen aus dem WADA-Code ableiten, denn es galt und gilt weiterhin grundsätzlich, dass der Sportler / die Sportlerin die Darlegungs- und Beweislast trägt, sobald ein verbotener Stoff im Organismus festgestellt wird (Grundsatz der strict liability). So wurde die Dopingsperre Pechsteins 2009 auf drei Blutwertangaben vom 07.02. und 08.02.2009 gestützt, die einen Retikulozytenwert von 3.4 % bzw. 3.5 % aufwiesen – ohne, dass festgestellt werden konnte, dass diese Werte überhaupt auf Dopingkonsum zurückzuführen sind. Klar war lediglich, dass der Grenzwert von 2.4 % überschritten wurde. Soweit scheint dies (auf den ersten Blick) nachvollziehbar zu sein: Eine verbandsrechtliche Regel (Grenzwert) wurde nachweislich verletzt (Überschreitung); folgerichtig wird eine Sanktion ausgesprochen.
Verbandsautonomie und ihre Grenzen
Äußerst problematisch ist allerdings der Umstand, dass der Grenzwert von 2.4 % – so behaupten einige Experten – keine wissenschaftlich fundierte Grundlage findet. Dies bedeutet: Eine private Institution – die entgegen unserem Gesetz-/Regelgebungsverständnis nicht demokratisch legitimiert ist – stellt eigenhändig Richtlinien auf, bei deren Verstoß eine empfindliche Beschneidung der Rechte und Freiheiten des Athleten / der Athletin droht. Zudem legt dieselbe Institution kraft eigenen Könnens fest, dass ein indirekter Beweis ausreiche, um den betroffenen Sportler / die betroffene Sportlerin zu sperren und ihm / ihr dadurch die Existenzgrundlage zu nehmen. Dies widerspricht dem rechtsstaatlichen Empfinden, das in der Bundesrepublik Deutschland angesichts hiesiger Rechtsordnung vorherrscht. Zwar kennt das Grundgesetz die Verbandsautonomie (Art. 9 GG), indes stößt diese an ihre Grenzen, soweit sie sich in Widerspruch zur Rechtsordnung stellt. So dürfte der starre Retikulozytenwert von 2.4 % vor allem angesichts möglicher Blutkrankheiten (wie es im Fall Pechstein behauptet wird) oder anderweitiger Sonderfälle zumindest mit Zweifeln behaftet sein. Ähnlich verhält es sich auch mit dem indirekten Beweis, der Pechstein zum Verhängnis wurde.
Es gibt noch spannende Fragen zu klären, welchen sich das OLG widmen muss, soweit der BGH die Zuständigkeit der ordentlichen Gerichtsbarkeit bestätigt.
Dennis Cukurov / Prof. Dr. Steffen Lask