Telemedizin: Digitalisierung in der Arztpraxis
Die Digitalisierung verändert die medizinische Versorgung von Patienten durch Angebote wie Apps, Hausnotruf oder die Internet-Sprechstunde. Wie aber nehmen die Patienten das an? Über die Zukunft der Telemedizin sprach die Redaktion von ECOVIS med mit Professor Andreas Beivers von der Hochschule Fresenius in München.
Herr Prof. Beivers, ist Online- oder Telemedizin das Wundermittel gegen Wartezeiten in der Arztpraxis?
Das ist schon noch Zukunftsmusik. In Deutschland ist der Einsatz von IT beispielsweise zwischen Ärzten und Krankenhäusern schon gut ausgebaut, direkt zwischen Arzt und Patient allerdings noch nicht. Da gibt es viele Bedenken, zum Beispiel zum Datenschutz, zu den Kosten und Abrechnungsmodalitäten oder zur Effektivität von Online-Sprechstunden. Zudem schränken berufsrechtliche Vorgaben wie das Fernbehandlungsverbot den flächendeckenden Einsatz von Telemedizin noch ein.
Welcher Personenkreis zeigt sich gegenüber Telemedizin aufgeschlossen?
Das Interesse zieht sich durch alle Altersklassen. Für eine Studie zur Akzeptanz von Online-Sprechstunden, die wir zusammen mit Ecovis im ersten Halbjahr 2017 gemacht haben, befragten wir Patienten im Alter von 16 bis 92 Jahren. Knapp 45 Prozent aller Patienten können sich eine Online-Sprechstunde vorstellen, auch wenn 81 Prozent diese für weniger effektiv halten als eine persönliche Konsultation.
Und wie sehen die Ärzte die Internet-Sprechstunde?
Die befragten Mediziner können sich Online-Sprechstunden zu mehr als 50 Prozent vorstellen. 94 Prozent halten diese für nicht so effektiv.
Haben Sie für das eher verhaltene Interesse eine Erklärung?
Deutschland hinkt bei der Telemedizin schon hinterher. Aber es bessert sich. Zumindest sind seit Juli 2017 bestimmte Erkrankungen mit Ziffern des Einheitlichen Bewertungsmaßstabs (EBM) zur Abrechnung mit den Kassen versehen. Wünschenswert wäre es, den gesicherten Zugang sowohl für Ärzte als auch für Patienten zu telemedizinischen Anwendungen zu erleichtern. Die Kassenärztlichen Vereinigungen könnten das beispielsweise übernehmen, damit sich Arzt und Patient in einem geschützten Raum online begegnen können. Das würde auch viele Bedenken in puncto Datenschutz aus dem Weg räumen. Um künftig eine flächendeckende Versorgung zu gewährleisten, wäre dies ein absolut notwendiger Schritt.
Welchen Stellenwert wird Telemedizin in den kommenden Jahren haben?
In unserer alternden Gesellschaft wird medizinische Versorgung immer mehr zu einem logistischen Thema. Wenn Menschen nicht selbst zur Versorgung kommen können, muss die Versorgung zu ihnen kommen. Telemedizin kann da ein Baustein sein, um gleichwertige Lebensverhältnisse zu schaffen. Das betrifft ja nicht nur ältere Menschen, die möglicherweise nicht mehr so mobil sind, sondern auch Patienten in Regionen, in denen der Zugang zur medizinischen Versorgung erschwert ist, weil kein Arzt mehr vor Ort ist oder der für eine Behandlung nötige Facharzt viele Kilometer weit weg ansässig ist.
Die Kosten im Gesundheitswesen steigen jährlich. Wer soll die flächendeckende Einführung von Telemedizin denn bezahlen?
Kosten senken kann nicht der Ansatz sein. Ich gebe Ihnen ein Beispiel integrierter Versorgung: Wird in Dänemark ein Herzinfarktpatient zur Klinik gefahren, fährt der Kardiologe bereits im Krankenwagen mit, zugeschaltet aus der Klinik. Seit der Einführung der dazu nötigen IT sank die Sterblichkeit von 8,4 Prozent im Jahr 2001 auf 3 Prozent im Jahr 2011. Aus ökonomischer Sicht ist das sinnvoll, auch wenn erst einmal investiert werden musste. Ökonomisch heißt ja, dass sich das Verhältnis von Kosten zu Nutzen verändert. Und der Nutzen ist beträchtlich.