Fachkräftemangel im Gesundheitswesen: Neue Perspektiven durch Zuwanderung?
Mit dem Gesetz zur Weiterentwicklung der Fachkräfteeinwanderung, das ab November 2023 schrittweise in Kraft tritt, will der Gesetzgeber die Zuwanderung von Fachkräften aus Staaten außerhalb des Europäischen Wirtschaftsraums (Drittstaaten) vereinfachen und beschleunigen. Ob das allein wirkt, wird die Zukunft zeigen.
Laut einer aktuellen Berechnung des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) fehlen dem deutschen Arbeitsmarkt bis 2025 rund sieben Millionen Arbeitskräfte. Stark betroffen ist auch die Gesundheits- und Pflegebranche. Bereits heute finden im ländlichen Raum und in Ostdeutschland einige Ärztinnen und Ärzte keine Nachfolgerin oder keinen Nachfolger für ihre Praxis.
Das Gesetz zur Weiterentwicklung der Fachkräfteeinwanderung erweitert die Möglichkeiten der Einreise zur Arbeitsaufnahme ohne einen in Deutschland anerkannten ausländischen Berufsabschluss. Das gilt nicht für alle Berufsbereiche: Wollen ausländische Fachkräfte einen reglementierten Beruf, etwa als Mediziner oder Gesundheits- und Krankenpfleger oder als Pflegefachfrau, ausüben, müssen sie weiterhin die deutsche Sprache beherrschen und die im Ausland erworbene Qualifikation hier anerkennen lassen. „Ärztinnen und Ärzte brauchen beispielsweise eine staatliche Zulassung, die Approbation. Im Anerkennungsverfahren wird überprüft, ob die im Ausland absolvierte Ausbildung mit der deutschen Arztausbildung gleichwertig ist“, erklärt Daniela Groove, Rechtsanwältin und Fachanwältin für Medizinrecht bei Ecovis in München.
Was die Reform bewirkt
Nachdem das Anerkennungsverfahren bleibt, bringt die Reform für reglementierte Berufe lediglich eine Änderung beim Zeitpunkt der Beantragung der Anerkennung. Das Aufenthaltsgesetz (AufenthG) sieht eine Einreise nach Deutschland nur nach zuvor erlangter Berufsausübungserlaubnis vor. „Jetzt können Arbeitswillige einreisen und erst dann ihre Anerkennung beantragen“, weiß Groove. Hierzu stehen zwei Möglichkeiten zur Verfügung:
- Es wird eine Anerkennungspartnerschaft mit einem Arbeitgeber vereinbart. Dabei verpflichten sich die angehende Fachkraft und ihr Arbeitgeber, die Anerkennung nach der Einreise zu beantragen und das Verfahren einschließlich Qualifizierung aktiv zu betreiben.
- Die Fachkraft erreicht genügend Punkte aus anderen Kriterien der ebenfalls neu eingeführten Chancenkarte.
Das Drei-Säulen-Modell und die Chancenkarte
Die Chancenkarte wird für maximal ein Jahr erteilt, wobei der Lebensunterhalt für diese Zeit gesichert sein muss. Sie lässt sich um zwei weitere Jahre verlängern, wenn ein Angebot für eine qualifizierte Beschäftigung vorliegt.
Das am 7. Juli 2023 durch den Bundesrat beschlossene Gesetz sieht drei Säulen vor: Qualifikation, Erfahrung sowie Potenzial. Für die reglementierten Berufe wirkt sich allerdings nur die Säule Potenzial aus.
Säule Qualifikation: Bereits ab November 2023 werden im Kontext der Blauen Karte EU die bestehenden Gehaltsschwellen gesenkt, wodurch die Chancenkarte einem größeren Personenkreis zugänglich wird. Künftig gilt, dass ein Mindestgehalt von 50 Prozent der jährlichen Beitragsbemessungsgrenze in der Rentenversicherung erreicht werden muss (bezogen auf das Jahr 2023 wären das 43.800 Euro).
Säule Erfahrung: Verfügen Bewerberinnen und Bewerber über eine mindestens zweijährige einschlägige Berufserfahrung im Herkunftsland, können sie auch ohne einen in Deutschland formal anerkannten Abschluss einreisen und eine qualifizierte Beschäftigung aufnehmen. Voraussetzung für diese Sonderregelung ist jedoch eine im Herkunftsland staatlich anerkannte mindestens zweijährige Ausbildung.
Säule Potenzial: Menschen, die noch kein konkretes Arbeitsplatzangebot haben, aber Potenzial für den Arbeitsmarkt mitbringen, können ab Frühsommer 2024 eine Chancenkarte beantragen. Sie basiert auf einem Punktesystem. Zu den Kriterien gehören: Qualifikation, Sprachkenntnisse, Alter, Voraufenthalte in Deutschland, gemeinsamer Antrag von Ehepartnern. Um die Chancenkarte zu erhalten, müssen Bewerber mindestens sechs Punkte im Punktesystem erreichen. Dieses sieht beispielsweise bei einer mindestens fünfjährigen Berufserfahrung in den vergangenen sieben Jahren drei Punkte vor. „Es bleibt abzuwarten, ob die erweiterten gesetzlichen Regelungen allein erfolgversprechend sind. Denn neben dem erleichterten Anerkennungsverfahren müssen Arbeitgeber im Wettbewerb mit anderen Anwerbestaaten weitere attraktive Bedingungen bieten“, sagt Groove.
Fachkräfteeinwanderungsgesetz: Die Bedeutung des erleichterten Arbeitsmarktzugangs für die Pflege
Das Gesetz sieht auch eine Änderung des Arbeitsmarktzugangs von Pflegehilfskräften aus Drittstaaten vor: Der Gesundheits- und Pflegebereich darf alle Personen aus Drittstaaten mit einer Pflegeausbildung unterhalb der dreijährigen geregelten Fachkräfteausbildung beschäftigen. Voraussetzung ist, dass diese Personen entweder eine entsprechende deutsche Berufsausbildung im Pflegebereich oder eine ausländische Pflegequalifikation, die in Deutschland anerkannt wurde, nachweisen können. Pflegeassistenten sowie Pflegehelfer aus Drittstaaten, die ihre Ausbildung in Deutschland absolviert haben, sollen künftig einen Aufenthaltstitel bis zu zwölf Monaten zur Arbeitsplatzsuche beantragen können.